Im Rahmen des Workshops „Belastenden Erfahrungen einen Sinn geben“, auf der „undjetzt?!“- Konferenz in Potsdam, haben Rückkehrer aus internationalen
Freiwilligendiensten die Möglichkeit zu lernen, ihre belastenden Erfahrungen positiv für sich zu nutzen. Martin Uhl, Diplom- Psychologe, hilft dabei als Seminarleiter.
Sie sind zurück aus Nicaragua, China, Indien, Südafrika oder Bolivien. Sie haben mit Menschen im Kindergarten, in Behinderteneinrichtungen, im Waisenhaus oder im Straßenkinderprojekt gearbeitet. Die sogenannten „Rückkehrer“ haben ein Jahr als Freiwillige im Ausland verbracht, sind wieder in Deutschland und haben eine ganze Menge Erfahrungen und Eindrücke mitgebracht.
„Es geht darum, aus dem persönlich Erlebten positive Schlüsse zu ziehen“, sagt Martin Uhl (Foto rechts) zu den Teilnehmern. Er weiß, wovon er spricht. Der Psychologe hat schon zwei Freiwilligendienste in Peru und in Ruanda absolviert.
Die Reise zurück
Es beginnt mit einer Traumreise. Sich erinnern an den Gedanken ins Ausland zu gehen. An die Bewerbung, die Zusage und die Seminare zur Vorbereitung. Zurückversetzen ins Abschied nehmen von Familie und Freunden und in die Vorstellung, die man von dem unbekannten Land hatte. Die erste Fahrt in der neuen Heimat und die erlebten Geräusche, Eindrücke und Bilder.
Er ruft den ersten Tag am Einsatzplatz ins Gedächtnis, die Unterkunft, das Zimmer, die Leute um einen herum, neu gefundene Freunde. Aber auch zurückdenken an Heimweh, Konflikte, Unzufriedenheit, Probleme. Erinnerungen an das Land, dass man kennen gelernt hat. Dann das zweite Mal Abschied nehmen, zurück nach Deutschland. Ein fremdes Land, das anders ist als das Land indem die Teilnehmer waren. „Aber nicht das Land hat sich verändert, sondern ihr habt euch verändert. Ihr seid reifer geworden.“, sagt Uhl mit ruhiger Stimme.
„Ich dachte, ich könnte etwas bewirken“
Jan Spreiztenbarth (Foto links) war in Beijing, in China. Er wollte aus der deutschen Gesellschaft ausbrechen, Neues erleben, seinen Horizont erweitern und „mal gucken wie groß die Welt ist“, erzählt der Einundzwanzigjährige. Eine Ausbildung im Bereich Mediengestaltung hat er bereits abgeschlossen. Auch idealistische Ziele trieben ihn an, er will Helfen, „ich dachte ich könnte etwas bewirken“, erinnert er sich.
Während der Traumreise wurde ihm der Kulturschock wieder in Erinnerung gerufen, die Hitze, die Sprachbarriere, die Kinder am Einsatzort, die Angst vor ihm hatten und den Frust, den er erlebt hat. Kinder wurden zur Strafe in eine Ecke gesetzt. „Diese Form von Bestrafung habe ich versucht abzuschaffen.“ Nach sechs Monaten wurde ihm klar, dass man nicht viel bewirken könne. Im Kleinen könne man aber helfen. Er hat die Kinder geformt und es trotz Rückschlägen doch geschafft die Bestrafung abzuschaffen. Seinen nächsten Auslandsaufenthalt hat Jan schon geplant. Er hat ein Stipendium für ein Studium in den USA, International Management möchte er studieren.
Stress, Belastungen und Krisen
Die Teilnehmer haben nach der Traumreise Zeit, sich Gedanken zu machen über Situationen, die nicht ganz so einfach waren. Die Stimmung ist entspannt, aber jeder wirkt in sich gekehrt und nachdenklich.
Sie stellen fest, dass es die gleichen Probleme sind, mit denen sie sich befassen. Abschied, der schwergefallen ist, Freunde, von denen sich nicht alle als echte Freunde erwiesen. Scheitern, Grenzen erfahren, Ungerechtigkeit, unlösbare Probleme, Überforderung und die Schwierigkeit, Dinge nachhaltig zu verändern. Weihnachten ohne die Familie, Frustration und ungewohnte klimatische Bedingungen, die auf die Psyche schlagen.
Dazu kommt, dass Freunde einen nach der Rückkehr nicht richtig verstehen und das alles nicht nachvollziehen können. Viele hören auch nicht richtig zu. Ein Austausch findet hauptsächlich mit Leuten statt, die auch im Ausland waren.
„Es kommen viele Einwirkungen zusammen, andere Leute, andere Kultur, fehlende Familie. Das kann zur Belastung werden“, weiß der Psychologe. „Man fragt sich, was das bringt und ob es nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist“.
Eine Teilnehmerin bestätigt, sie hat sich gefragt „wozu mache ich das, wieso mache ich mich selbst kaputt“.
Belastende Erfahrungen können aber auch positiv sein, weil es Herausforderungen sind, an denen man wachsen kann. „Das sind kluge Leute, die vielleicht noch nie richtig gescheitert oder durch eine Klausur gefallen sind. Seine Grenzen zu erfahren und sich einzugestehen, dass man etwas nicht kann, überfordert oder hilflos ist, kann deprimierend sein.“, erklärt Martin Uhl.
Bewältigen, Lernen und Weitergeben
Es stellt sich heraus, dass die Bewältigung sehr wichtig ist. Der Austausch im Gespräch oder das Schreiben von Blogs und Tagebüchern kann helfen. Einig waren sich alle in dem Punkt „Abstand halten“. Das sei wichtig, um etwas bewältigen und verarbeiten zu können. Nicht alles an sich ranlassen und die nötige Distanz halten. Aber auch verarbeiten durch räumlichen Abstand - einfach mal raus aus dem Alltag beispielsweise. Sie haben gelernt, Situationen zu reflektieren, differenzieren und zu relativieren sowie Intentionen von Menschen besser einzuschätzen.
Martin Uhl resümiert: „Abstand bedeutet Grenzen zu ziehen, die Grenze zu dem was ich leisten und mir zumuten kann. Bis hierhin und nicht weiter“, das sei sehr wichtig.
Uhl geht mit einem für Freiwilligendienste neuen Konzept an die Aufarbeitung von belastenden Erfahrungen heran. Der psychologische Ansatz beschäftigt sich intensiver mit den individuellen Erfahrungen der Rückkehrer. Die Art der Aufarbeitung gleicht der Hilfestellung bei der Verarbeitung von Traumata.
Text von Esther Sarach, Foto von Zeno F. Pensky