Sonntag, 21. März 2010
Jeder Politiker ein Mensch… und umgekehrt…
Ein positiver Nebeneffekt ist es, dass Politiker zahlreiche Unterstützer finden, die schon mal das Antworten übernehmen oder sich, wie es ein Diskussionsteilnehmer ausdrückte, „in die Bresche schmeißen“.
Insgesamt stellt Twitter ein beliebtes Fenster zur Diskussion dar. „Da bekomm ich sie auch mit, da kann ich mich auch selber einmischen“, fügt der ältere Brillenträger hinzu. Gemeint ist damit die Möglichkeit, persönlich auf die Kommentare politischer Führungspersonen einzugehen. Die Entwicklung damit zu steuern, ist allerdings ein Irrtum. „Nicht jeder Brief wird wahr und ernst genommen. Davon dennoch überzeugt zu sein, ist doch Quatsch!“, formuliert es ein hagerer Mann in schwarzem Sakko.
Ein etwas anderes Thema war die Veröffentlichung des Privatlebens im Web. Die Diskursteilnehmer sehen es in Zukunft als „normal“ an, dass in Zukunft Partyfotos in den Netzwerken verbreitet werden. Viel eher erregt ein angepasstes Profil das Misstrauen des Betrachters. - Das konnte ein Arbeitnehmer aus dem Publikum nur bestätigen. Er selbst wir eher skeptisch, wenn er bei seinen Bewerbern nur bereinigte Profile zu Augen bekommt. „Natürlich feier ich auch und im Anschluss gibt es dann auch Bilder davon in Facebook“, meinte er. - „Alle anderen sind weichgespülte, eingekochte Schwachstruller“, stimmt ein anderer mit radikalerer Wortwahllauthals ein, ehe die Session ihrem Ende entgegen steuert.
Letztendlich bleibt die Einsicht, dass jeder Politiker auch nur ein Mensch ist und jeder Mensch doch auch irgendwie ein Politiker.
"Dankbar für Unterstützung"
Der 27-jährige Organisator Valentin Tomaschek aus Hamburg, von seinen Mitmenschen als Lebenskünstler bezeichnet, über Koffein und Professionalität.
Politcamp ist für mich wegen der sechs Wochen Vorbereitungszeit vor allem anstrengend.
Regen an der Spree bedeutet dass wir letztes Jahr einfach zu sehr mit dem ganzen Sonnenschein beim Wetter vorgelegt haben.
Macs auf einer von Microsoft gesponserten Veranstaltung sind ...nunja, ich bin da doch sehr dankbar für die Unterstützung.
Der beste Tweet war „das PolitCamp ist viel zu professionell organisiert“
Stress ausgelöst hat bei mir ...ach, das PoliCamp macht doch eigentlich nur Spass.
Massenhaft konsumiere ich während des Politcamps (blickt kurz auf die Club-Mate Flasche in seiner Hand) Koffeinhaltige Getränke!
Für das nächste Politcamp will ich unbedingt mehr Zeit um die eigene Veranstaltung selber auch erleben zu können.
Politik am Morgen oder: Kaffee, bitte!
10 Uhr im Radialsystem. Keine Knopperszeit in Deutschland, sondern die Rufe nach Kaffee dominieren.
Erst ein geringer Prozentteil der knapp tausend Teilnehmer hat es so früh an die Spree-Location hinter dem Ostbahnhof geschafft, bekannte Gesichter sieht man aber viele: Das Orga-Team um Tomaschek, auffällige Session-Leiter und junge Medienmacher von Onlinemagazinen.
„Leute, um 16 Uhr bin ich weg –würde gern vorher die Planung machen“, verkündet ein Teilnehmer via Twitterwall. „Moin moin“ wünschen andere. Und während das Wetter draußen Trübsal bläst wappnet sich die politikorange-Redaktion sich mit Laptops für die bevorstehende Schreibflut.
Samstag, 20. März 2010
Frei und flexibel in die Altersarmut?
Björn Böhning will die Entwicklung in der Arbeitswelt nicht „zurückdrehen, sondern stützen“. Mit „zurückdrehen“ meint der SPDler das, was viele wollen. Zurück zu alten Strukturen, zur 40h Woche, zum festen Arbeitsvertrag mit geregeltem Gehalt. Doch gerade das will Björn Böhning nicht. Im Gegenteil, er möchte die Flexibilität der heutigen Arbeitnehmer stützen, weil er meint, dass diese die Flexibilität wollen.
Diese Ansicht unterstützt Peter Plöger, Verfasser des Buches „Die Arbeitssammler“. Er sagt, der Satz „Lern was anständiges, dann ist dir ein guter Job sicher“ gilt heute nicht mehr.
Das Problem ist für alle auf dem Podium klar: Es gibt viele Selbstständige, aber keine Sicherheit, nur Selbstausbeutung. Die Selbstständigen sind nicht organisiert, sie leiden unter Lohndumping, Stress und dem Zwang ständig flexibel zu sein.
Julia Sillinger, Online-Redakteurin bei der taz, formuliert das Problem kurz und knapp: „Wir brauchen Rahmenbedingungen für Selbstständigkeit und freie Mitarbeit.“
Wie man diese schaffen kann, da ist man sich auf dem Podium nicht so ganz einig, die Einen reden von der Aufgabe der Gewerkschaften, die Anderen von der Aufgabe der Politik. Einer der Zuhörer meint, wenn es in Zeiten von Web 2.0 nicht gelänge, sich zusammen zu tun und für seine Recht einzustehen, dann seien die Selbstständigen doch selber Schuld.
Von einem Zuhörer wird das Modell des „smart workcenter“ vorgestellt, welches in den Niederlanden schon funktioniert. Ein Zentrum, in dem Selbstständige arbeiten und sich gleichzeitig mit anderen austauschen können. Ein weiterer Vorteil: Es gibt sogar eine Kinderbetreuung, damit Familie und Beruf vereinbar bleiben.
Am Ende der Sitzung ist zwar keine Lösung gefunden, aber man ist sich wenigstens einig in dem Punkt, dass man etwas gegen die jetzige Lage tun muss.
Björn Böhning drückt es passend aus: „Es wäre schon eine traurige Schlagzeile, wenn wir nachher frei und flexibel in der Altersarmut gelandet sind.“
Den Politikern ins Netz gehen…
Eine erfolgreiche Strategie sollte hingegen so aussehen, dass gute Angebote vor Ort mit den virtuellen Chancen wirkungsvoll verknüpft werden. Wichtig ist vor diesem Hintergrund, den politischen Dialog im Internet auszubauen und dadurch zu verbessern. Facebook, studivz.de und Co. werden so schnell zum Träger von Botschaften, da sie den Vorteil bieten, die Inhalte breiter zu streuen. Es erfolgt aus diesem Grund eine Entprofessionalisierung der Kommunikation, durch die individueller, fast ungezwungener sowie offener auf den Bürger eingegangen werden kann. Festzustellen ist auch eine Verschiebung der Personensuche von der Suchmaschine hin zum sozialen Netzwerk.
Allerdings taucht aber die Schelle auf, dass eher selten aktiv nach den Profilen von beispielsweise Abgeordneten gesucht wird. Aber nicht nur dem User wird die Schuld in die Schuhe geschoben. Mangelndes „Campaining“ wird dabei allen Parteien vorgeworfen. „Da muss man aus seinem persönlichen Dunstkreis rausschauen“, lautet da der Lösungsvorschlag der Referent. Wie genau das gehen soll, bleibt ein anderer Dunstkreis…
Haltet das Internet aus dem Stundenplan fern!
Stellt euch vor euer Musiklehrer würde euch fortan den Zauber von Rihannas Musik erklären, oder den Beat von den Black Eyed Peas an der Tafel auseinandernehmen. Würdet ihr den Ausführungen eures Musiklehrers überhaupt glauben? Und würdet ihr diese Musik noch auf dieselbe Weise hören? "In den Siebziger Jahren fingen alle an, in ihrem Musikunterricht Charts durchzunehmen", erinnert sich Franz Michael Deming, heutiger Schulleiter der Kreismusikschule Plön. So sollte der trockene Stoff den Schülern näher gebracht werden, aber es ging voll nach hinten los", erzählt er weiter.
Heute wird nicht mehr um Charts im Musikunterricht debattiert, sondern über Internetlektionen in der Schule. "Viele Jugendliche wissen nicht, was für Auswirkungen ein Partyfoto auf Studivz für ihre spätere professionelle Laufbahn haben kann" sagt Matthias Groote, Europaabgeordneter der SPD. Dass sich Jugendliche im Netz wohler fühlen als ältere Generationen ist klar. Dass dieses Gefühl, Zuhause zu sein, Entblößungen und Entgleisungen nicht verhindert, ist allerdings ebenso Tonus auf dem Podium. Jugendliche müssen lernen mit den unendlichen Möglichkeiten im Netz umzugehen und diese auch wahrzunehmen. Das Stichwort lautet: Politische Partizipationsmöglichkeiten.
Gregor Landwehr, Jugendpressevertreter auf dem PolitCamp, warnt davor, diese Aufgabe den Schulen zuzuspielen. "Jugendliche an die Hand zu nehmen funktioniert in diesem Fall häufig nicht! Sie müssen es selber lernen", sagt er. Das Prinzip „Von Jugendlichen für Jugendliche“ erscheint als die einzige Lösung. Denn Lehrer, die – um es überspitzt zu sagen – noch nicht einmal wissen wie, sie ein Foto hochladen können, werden von der Youtubegeneration wohl kaum Ernst genommen. Einzige Lösung sei das Prinzip „Augenhöhe“ – von Jugendlichen für Jugendliche.
Die Jugendpresse, die Plattform „Netzcheckers“ und die Servicestelle Jugendbeteiligung versuchen das umzusetzen und Medienkompetenz zu vermitteln. Dass diese aber noch nicht überall angekommen ist, beweist ein Blick auf die Fotogalerien in Social Communities. Und ins Plenum, dessen Stuhlreihen nicht voll besetzt sind. Hätten die Jugendlichen den Weg zur Diskussion gefunden, wären ihnen vielleicht weitere Wege eingefallen, wie sie die Möglichkeiten im World Wide Web voll nutzen können ohne die Risiken aus den Augen zu verlieren.
Eine Anekdote zwischen den Stufen
Nachdem wir gefühlte 300 Treppenstufen über die enge Betontreppe nach oben gegangen sind, um zum Studio A zu gelangen, lassen wir uns erschöpft auf die Stühle fallen. Zwei Minuten später sagt man uns, dass die Session, zu der wir wollten, leider schon stattgefunden hat. Wir stöhnen: „Dann müssen wir ja alles wieder runter.“
Ein Mann, Mitte 40er, meint belustigt: „Es gibt einen Aufzug und außerdem, nur beim Hochlaufen verbrennt man Kalorien, beim Runtergehen gewinnt man welche. Zumindest nach der Physik.“
Manchmal haben die Leute hier eine merkwürdige Auffassung...
Change we can´t believe in
Wirklich im 21. Jahrhundert angekommen ist die politische Klasse also noch nicht. Das sehen auch die geladenen Politiker zur Podiumsdiskussion über das Thema so. Der einhellige Tenor: Der Onlinewahlkampf zur Bundestagswahl 2009 war eher enttäuschend. Der Versuch, die Obamamanie zu kopieren und auch Deutschland zu einem Volk von (Wahl-)Netcitizens zu machen, ist gescheitert.
Begründet wird das in der Diskussion vor allem darin, dass die Strukturen und die Mentalität in Deutschland nicht gleich seien. Es sei viel einfacher, Spenden zu bekommen und auch das Ehrenamt habe einen ganz anderen Stellenwert als in Deutschland. Dabei zeigen sich die Politiker teilweise sogar äußerst selbstkritisch. Der Linken-Politiker Bodo Ramelow bezeichnet eine einstweilige Verfügung, die ein Parteikollege gegen wikipedia erlassen hat, gar als „größten Flop des Wahlkampfes.“
Das wirkliche Problem wird – bei allem Anschein von Selbstkritik – jedoch umschifft. Obamas Onlinekampagne hatte auch deshalb einen solchen Erfolg, weil das Volk wirklich glaubte, eine Wahl zu haben, einen Wandel bewirken zu können. Bei der Bundestagswahl jedoch hatten die Parteien ihr Profil aus wahltaktischen Gründen teilweise bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Dies wirkt sich gerade und besonders im Internet aus, wo die Politik mit einer Unmenge an anderen Informationen und Einflüssen konkurrieren muss. Eine profillose Politik hat hier praktisch keine Chance. Und so sollte die Erkenntnis der Diskussionsteilnehmer lauten – Politik ohne Internet ist auch im 21. Jahrhundert möglich, Politik ohne Inhalte aber (immer noch) nicht.
Die Flashmob-Session, die gar keine war
„Flashmobs: Wie können und sollten Parteien mit solchen Online-Angriffen umgehen? Ist das alles nur Spaß ohne Auswirkung oder doch ein Kampagnenelement?“ lautete das eigentlich Thema von Alexander Kurz‘ Vortrag. Dementsprechend irritiert war das Publikum, als die Präsentation mit Photoshop–Remixen von Wahlplakaten startete, Mr. Burns zog allerdings wenigstens die Lacher auf seine Seite.
Im Anschluss folgte doch noch „das neue Phänomen im Bundestagswahlkampf“: Flashmobs generell. Interessiert hörten alle Teilnehmer zu. Jedenfalls bis die Hauptdiskussion in Richtung eines bestimmten Flashmobs umschlug: „Merkel in Hamburg -und alle rufen ‚Yeaahh‘“. In der ersten Reihe wurde sich über eine widersprüchlichen Aussage des Diskussionsleitenden aufgeregt, in der zweiten wurde über das Kommunikationsverhalten der CDU gelästert, und in der dritten wurde über das persönliche Erlebnis während des „Yeah“-Flashmobs berichtet.
Schnell kristallisierten sich die aktiven Diskussionsteilnehmer, die sich einigermaßen auskannten, aus der Masse heraus. Der Rest hörte mehr oder weniger interessiert zu und hoffte wohl heimlich auf einen Umschwung des Themas -möglichst noch vor Sessionende. Laut beklatscht wurde jedenfalls eine SPD-lerin, die sich über die Zeterei gegen die CDU aufregte und empört auf das eigentliche Thema weisen wollte. Der Diskussionsleiter wendete das Gesprächsthema jedoch trotzdem nicht. Dementsprechend ablehnend und verärgert waren auch die Posts auf der Twitterwall, die regelrecht damit bombardiert wurde. Der treffendste Post war allerdings wohl „Flashmob-Session am #PC10 vorbei und raus hier!“.
Wer verändert hier wen?
Zumindest war dies der Ausgangspunkt für die Session von Christian Scholz. Er klagt von „Braucht das irgendwer?“-Reaktionen und dem ungleichen Verhältnis zwischen der teils begründeten Angst vor den Gefahren des World Wide Web und der verschwindenden Bereitschaft, sich einfach mal auf Neues einzulassen. Er klagt und die Teilnehmer klagen. Von den verankerten Erwartungen, doch nur betrogen zu werden. Darüber, dass Gefahren doch nun mal überall lauern, online wie offline, dass sie nur anders kommuniziert werden.
„Der Ansatz der Datenvermeidung ist doch total unrealistisch“, so Scholz. Medienkompetenz bleibt das Zauberwort. „Aber es darf nicht immer nur darum gehen, wer, was, wann, wie nicht tun soll. Es muss doch auch gezeigt werden, was getan werden soll!“ Es wird versucht, den Fremden zu verstehen, den noch nicht Angekommenen, den Ängstlichen. „Diese Angst, das ist das Grundproblem der Deutschen.“ Schafft man es nicht, die Ängstlichen einzubinden oder will man es nicht?
Die Session hat direkt mit einer offenen Diskussion begonnen, ohne Rederechtsunterschied. Das höchste Gut des Internets, die Interaktivität, sie hat sich schon fest in der Diskursvorstellung verankert. Was verändert denn nun eigentlich wen? Wir das Internet? Oder das Internet uns? In der Runde häufen sich die Wünsche nach mehr Möglichkeiten, die Dinge im Kleinen und dafür selber zu verändern. Den Mut aufzubringen, mal was weiter zu machen.
Der größte Feind ist schnell gefunden: Politische Entscheidungsträger, die nicht wissen, was in der neuen Welt passiert und Lobbygruppen, die ahnen, was passieren wird und dies bewusst unterbinden. Ein Teufelskreis, denn ohne Förderung kein Fortschritt, ohne Öffentlichkeit kein Zulauf. Die einzige Chance: Warten, bis die Digital Negatives ausgestorben sind und die Natives sich nicht mehr auf eine Interessengruppe beschränken, man den Begriff der Digital Natives schon nicht mehr braucht, weil er zu etwas Selbstverständlichem geworden ist. Aber wohin führt das? Mehr Toleranz? Mehr Mut? Ist das wirklich der Trend der Entwicklung? Im Internet gibt es keine Grenzen, es gibt keine Unterscheidung außer der, welche die Webgemeinschaft setzt.
Ein geschlossener Zirkel, eine kleine Kommune von Utopisten bis Techniknerds. Man will sich selber definieren dürfen, nimmt aber keine Definitionen an. Ein laufender Prozess darf nicht durch Rationales geblockt werden und das Internet, das rennt und rennt. Wer nicht schon auf den Zug aufgesprungen ist, für den ist es schon zu spät. Die Gesellschaft von morgen, die auszulebenden Ideologien, die in den Herzen der Menschen schlummern, sie werden nicht auf der Straße gefordert, werden nicht auf der Straße diskutiert. Sie wird in den Blogs entworfen, von Menschen, die sich einer Welt ohne Grenzen die Welt bauen, in der sie leben wollen. Man kann nur hoffen, dass die Diskussionen in der Welt ohne Grenzen sich in Zukunft nicht mehr auf einen elitären Kreis begrenzen. Die Diskussion der Session verlagert sich nach ihrem Ende in die Raucherpause. Ein erstes Weiterreichen, immerhin.
(Artikel von Viviane Petrescu)
Nur ja nicht abschrecken lassen: Als Frau auf dem Politcamp
…die berüchtigte Geschlechterfrage, die niedrige Frauenquote am PolitCamp und ein paar Anekdoten aus ihrem Leben:
„Frauenquoten sind sicherlich ein wichtiger Impuls, um Frauen bestimmte Chancen zu geben, aber auf Dauer sind sie nicht vorteilhaft. Man könnte sagen sie sind eine Quote auf Zeit. Denn ohne Quoten gibt es keine Änderungen. Das ist wie bei den Gesetzen: Es werden ja auch keine Gesetze für immer gemacht, die Welt verändert sich schließlich immer weiter. Die Meinungen und Statistiken von vor zehn Jahren kann man heute ja auch nicht eins zu eins so übernehmen. Vor zehn Jahren war es für mich auch das Wichtigste, Karriere zu machen. Mittlerweile steht das für mich nicht mehr im Vordergrund. Aber so richtig „gefunden“ habe ich mich immer noch nicht. Wahrscheinlich auch in zehn Jahren noch nicht, den guten Mittelweg zwischen abenteuerlichen Reisen und einem klassischen Leben zu finden, ist gar nicht so leicht. Mit dem Kinderkriegen sollte ich es in den nächsten Jahren ja auch besser noch hinkriegen.
Durch das Camp habe ich gelernt, weniger Respekt vor Alter- und Geschlechterunterschieden zu haben. Beim Vorstellen der Session-Idee war es zwar schon noch etwas unangenehm, weil kaum Frauen dabei waren und man das Gefühl hatte, das bei einem selbst viel mehr darauf geachtet wurde was man sagt. Aber gerade beim Moderieren des Brainstormings habe ich dann gemerkt, dass man sich nur nicht von so etwas abschrecken lassen darf -dann wird man auch ernst genommen und die eigene Meinung zählt und wird respektiert.“
…Selbstbewusstsein und den Satz, der nach ihrem Tod in einem Lexikon stehen sollte:
„Ich habe mir selber keine hohen Maßstäbe gesetzt. Aber größtenteils liegt mein Selbstbewusstsein an meinem Charakter. Wenn ich mich selber mit drei Worten beschreiben müsste, wären das wohl „interessiert“, „offen“ und „tolerant“. Interessiert an allem, von globalen Themen über Menschen bis hin zu Herausforderungen. Und genau die Offenheit braucht man, denn wenn man schüchtern ist, kann man sich auch nicht gut in die Menschen hineinversetzen und dadurch Informationen kriegen. Sicherlich habe ich auch einen guten familiären Background, aber durch meine Auslandserfahrungen und die Strukturen, die ich dadurch verhältnismäßig früh mitbekommen habe, ist einfach in mir innerlich eine Hürde weggefallen: Die Berührungsängste waren weg.
In einem Satz zu beschreiben, was nach meinem Tod in einem Lexikon stehen sollte, ist ziemlich schwer. Im Moment würde ich mir wohl diesen Satz wünschen: „Sie hat Menschen zusammengebracht, die vorher nicht miteinander gesprochen haben“. Aber ich bin sicher, wenn du mich in einem Jahr nochmal fragst, sage ich wieder etwas ganz anderes.“
Spielwiese PolitikCamp: Basisdemokratie erleben
Die Schlange vor dem Podium wird immer länger. Einer nach dem Anderen steigt auf die Bühne um seine Idee für eine Session vorzustellen. Onlinewahlkampf, neue interaktive Medienformate im Web aber auch die Frage nach kollektiver Intelligenz beschäftigen die Teilnehmer und gleichzeitig Referenten des PolitikCamps 2010 im Radialsystem an der Spree. Ideen für Debatten und Vorträge kann jeder vorschlagen; stattfinden können sie aber nur dann, wenn die anderen Teilnehmer ihr grünes Licht geben. Zaghafte Meldungen verbannen eine Idee in den kleinsten Raum, großer Zuspruch verschafft ihr die Bühne in der Haupthalle des Radialsystems. Der Veranstaltungsplan wird basisdemokratisch erstellt, jeder Teilnehmer kann den Verlauf des Wochenendes beeinflussen.
Völlig spontan funktioniert die Auswahl der Sessions jedoch nicht: Viele Ideen standen bereits im Vorfeld auf der Internetseite des PC 10. Dort konnten sie nicht nur kommentiert werden, sondern wurden in einer informellen Abstimmung bewertet. Jeder Nutzer konnte seine Stimme für eine Veranstaltungsidee abgeben. Oder, und das ist das interessante an dem System, diese Stimme delegieren. "Liquid Session", so der Name des Abstimmungstools, wurde eigens für die Veranstaltung im Radialsystem geschrieben. Die Idee hatte Andreas Baum, der Vorsitzende der Piratenpartei in Berlin. "Wir wollten allerdings kein Veranstaltungsplanungstool entwerfen, sondern testen, wie die Teilnehmer auf die „Delegierungsfunktion“ anspringen", erklärt Michael Seemann, der das Programm in seinem Schaffensprozess begleitete.
Das PolitikCamp ist sozusagen Spielwiese für Verfechter einer größeren Idee. Per Stimmendelegation die Vorteile direkter und repräsentativer Demokratie kombinieren: Das möchte „Liquid Democracy“ erreichen. Jeder kann in Themenbereichen, die ihn interessieren, selber abstimmen und in anderen Bereichen einen Repräsentanten bestimmen. "Wenn es beispielsweise um Darstellungsformen der Politik im Netz geht, könnt ihre eure Stimme an Björn Böhnig delegieren" erklärt Michael Seemann und zeigt auf den SPD-Abgeordneten und Teilnehmer am PolitikCamp. Die Macher von „Liquid Sessions“ versprechen sich „bessere“ Ergebnisse der Abstimmungen, da jeder, so die Wunschvorstellung, nur abstimmt, wenn ihm die Problematik bewusst ist. Das entkräftet Gegner plebiszitärer Elemente, die den Ottonormalbürger für nicht kompetent genug in bestimmten politischen Entscheidungen halten.
Nicht zuletzt könnte die Komplexität der Gesellschaft und daraus entstehende Ohnmachtsgefühle bei den Stimmberechtigten aufgefangen werden. Wer etwas nicht versteht, muss nicht verzweifeln, sondern kann seine Stimme einfach abgeben - an denjenigen, den er für kompetent hält. Ist flüssige Demokratie also ein Konzept gegen Politikverdrossenheit?!
Diese Überlegungen stecken noch in ihren Kinderschuhen: Bei „Liquid Session“ geht es zunächst darum, mit den Möglichkeiten des Internets zu experimentieren. „Das Programm ist auf jeden Fall noch ausbaufähig, auch wurden das Delegieren der Stimmen wenig genutzt“, berichtet Michael Seemann. Natürlich sind Anregungen, ganz nach dem Prinzip der Veranstaltung, immer willkommen.
An Guad'n!
"Man muss die Leute da abholen, wo sie sind!"
„Ich bin ja der Meinung, dass die Jugendlichen heutzutage schon politisch interessiert sind, nur wissen sie nicht, wie man sich besser engagieren kann“ , eröffnete sie die Diskussion.
Schnell wurde klar, dass Uneinigkeit herrscht, wo man hingehen soll, wenn einem was wirklich „stinkt“. Problematisch ist da das Gefühl der Machtlosigkeit, dass einen heimtükisch überfällt, wenn man keine Chance sieht, wahrgenommen zu werden. „Da gibt es immer noch große Hemmungen“, fügte einer der Teilnehmer noch nachdrücklich hinzu. Auch die fehlende Medienkompetenz sei ein Faktor, die das politische Engagement junger Menschen ausbremst. Zu Rate gezogen werden viele unzuverlässige Quellen. Das sei nicht nur einfacher, sondern auch wesentlich schneller, als täglich Zeitung zu lesen.
Die Diskussionsleiterin hat vor diesem Hintergrund realisiert, dass sich Schüler, deren Texte zusätzlich in Blogs veröffentlicht werden, intensiver mit ihren Texten auseinander setzen. Neben einem spürbaren Anstieg der Motivation nimmt dann auch das Interesse für rechtliche sowie politische Angelegenheiten zu.
Die oppositionelle Seite vertrat da ein Politiker. „Da braucht man schon eine hohe Frustrationstoleranz in dem Beruf“, lauteten seine Worte, mit denen er bürokratische Hindernisse zusammen fasste. Auch er merkt das Interesse von Jugendlichen an der Politik, die jedoch wenig Chance erhalten, sich aktiv zu beteiligen. Grund dafür sieht er außerdem in der mangelnden Transparenz politischer Abläufe.
„Man muss die Leute da abholen, wo sie sind!“ - Ein Einwand, der ausdrückt, dass nur Themen angenommen werden, die die Menschen in der Bevölkerung auch direkt betreffen. Begriffe wie „Zukunftsangst“ fielen da schnell. Denn nach acht Stunden Schule im G8 fühlt sich der Großteil von Schülern überfordert, sich in ihrer Freizeit mit der Durchsetzung ihrer Belange zu beschäftigen.
Die erste Session - MFrage - Abstimmung per SMS
Um kurz nach 11 hält Christian Rotzoll eine der ersten Sessions des Tages. Sein Thema: www.Mfrage.de – Abstimmung per SMS. Im gläsernen Kubus des Radialsystems hat er auf seinem Netbook eine Abstimmung vorbereitet. Eine Abstimmung, an der sich Jeder, der ein Handy hat, beteiligen kann.
In Zeiten des mobilen Internets hat Christian Rotzoll mit Kollegen ein Tool entwickelt, mit dem Jeder Abstimmungen über jedes beliebige Thema per SMS starten und das Ergebnis live im Browser mitverfolgen kann.
Das Prinzip ist einfach: Jede Antwort bekommt einen Code zugewiesen, welcher per SMS (zum Preis des eigenen Netzanbieters) an die angegebene Handynummer geschickt werden muss. Die Abstimmung wird direkt live ausgewertet und kann im Browser online mitverfolgt werden. So kann das Ergebnis zeitgleich auf der Veranstaltung - zum Beispiel über einen Beamer - dargestellt werden und ist für jeden Teilnehmer einsehbar. Dabei werden die Handynummern nicht an den Veranstalter weitergegeben, damit die Abstimmung hundertprozentig anonym bleibt.
Der derzeit noch kostenlose Dienst ist momentan zwar noch in der Entwicklung, aber noch dieses Jahr soll die Beta Phase beendet werden. Für Non-Profit Veranstalter, z.B. Vereine soll der Dienst kostengünstig bleiben, durch die Nutzung großer Unternehmen soll er sich refinanzieren.
Im Interview spricht Christian Rotzoll über die Verwendung des Tools, den Datenschutz und welche Idee eigentlich hinter dem Dienst steckt.
Mehr Informationen gibt’s auf www.mfrage.de