Samstag, 20. März 2010

Spielwiese PolitikCamp: Basisdemokratie erleben

Beim PolitikCamp 2010 kann sich jeder an der Veranstaltungsplanung beteiligen; „Liquid Session“ sei Dank. Wie dieses Internetwerkzeug funktioniert und warum die Erfinder bisher nur damit spielen, recherchierte politikorange.

Die Schlange vor dem Podium wird immer länger. Einer nach dem Anderen steigt auf die Bühne um seine Idee für eine Session vorzustellen. Onlinewahlkampf, neue interaktive Medienformate im Web aber auch die Frage nach kollektiver Intelligenz beschäftigen die Teilnehmer und gleichzeitig Referenten des PolitikCamps 2010 im Radialsystem an der Spree. Ideen für Debatten und Vorträge kann jeder vorschlagen; stattfinden können sie aber nur dann, wenn die anderen Teilnehmer ihr grünes Licht geben. Zaghafte Meldungen verbannen eine Idee in den kleinsten Raum, großer Zuspruch verschafft ihr die Bühne in der Haupthalle des Radialsystems. Der Veranstaltungsplan wird basisdemokratisch erstellt, jeder Teilnehmer kann den Verlauf des Wochenendes beeinflussen.

Völlig spontan funktioniert die Auswahl der Sessions jedoch nicht: Viele Ideen standen bereits im Vorfeld auf der Internetseite des PC 10. Dort konnten sie nicht nur kommentiert werden, sondern wurden in einer informellen Abstimmung bewertet. Jeder Nutzer konnte seine Stimme für eine Veranstaltungsidee abgeben. Oder, und das ist das interessante an dem System, diese Stimme delegieren. "Liquid Session", so der Name des Abstimmungstools, wurde eigens für die Veranstaltung im Radialsystem geschrieben. Die Idee hatte Andreas Baum, der Vorsitzende der Piratenpartei in Berlin. "Wir wollten allerdings kein Veranstaltungsplanungstool entwerfen, sondern testen, wie die Teilnehmer auf die „Delegierungsfunktion“ anspringen", erklärt Michael Seemann, der das Programm in seinem Schaffensprozess begleitete.

Das PolitikCamp ist sozusagen Spielwiese für Verfechter einer größeren Idee. Per Stimmendelegation die Vorteile direkter und repräsentativer Demokratie kombinieren: Das möchte „Liquid Democracy“ erreichen. Jeder kann in Themenbereichen, die ihn interessieren, selber abstimmen und in anderen Bereichen einen Repräsentanten bestimmen. "Wenn es beispielsweise um Darstellungsformen der Politik im Netz geht, könnt ihre eure Stimme an Björn Böhnig delegieren" erklärt Michael Seemann und zeigt auf den SPD-Abgeordneten und Teilnehmer am PolitikCamp. Die Macher von „Liquid Sessions“ versprechen sich „bessere“ Ergebnisse der Abstimmungen, da jeder, so die Wunschvorstellung, nur abstimmt, wenn ihm die Problematik bewusst ist. Das entkräftet Gegner plebiszitärer Elemente, die den Ottonormalbürger für nicht kompetent genug in bestimmten politischen Entscheidungen halten.

Nicht zuletzt könnte die Komplexität der Gesellschaft und daraus entstehende Ohnmachtsgefühle bei den Stimmberechtigten aufgefangen werden. Wer etwas nicht versteht, muss nicht verzweifeln, sondern kann seine Stimme einfach abgeben - an denjenigen, den er für kompetent hält. Ist flüssige Demokratie also ein Konzept gegen Politikverdrossenheit?!
Diese Überlegungen stecken noch in ihren Kinderschuhen: Bei „Liquid Session“ geht es zunächst darum, mit den Möglichkeiten des Internets zu experimentieren. „Das Programm ist auf jeden Fall noch ausbaufähig, auch wurden das Delegieren der Stimmen wenig genutzt“, berichtet Michael Seemann. Natürlich sind Anregungen, ganz nach dem Prinzip der Veranstaltung, immer willkommen.



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